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Story
1981, Köln. Foto: Gernot Huber

Punks im Bus

Boring Suburbia 2

von

Wieder einmal herrschte Langeweile in der Kölner Vorstadt - eigentlich der Normalzustand an einem Sonntagnachmittag in den frühen 1980er Jahren.

Paul, Olli und Markus konnten und wollten sich damit nicht abfinden und schmiedeten Pläne. Oder was sie dafür hielten.

»Wie wärs, wenn wir mit dem Bus Richtung Ostheim fahren und die Spiesser provozieren?«, schlug Olli vor. »Wir könnten zum Beispiel ‘Alle Arschlöcher umdrehen’ in den Bus rufen!«

»Und du meinst, da kommen wir ungeschoren wieder raus?«, warf Paul ein. Markus pflichtete ihm bei.

»Das könnte in der Tat ein Problem werden.«

Ungünstigerweise war dieser Vorort zu jener Zeit wegen seiner hohen Kriminalitätsrate berüchtigt, und den drei Jungs - mit ihren bemalten schwarzen Lederjacken und Springerstiefeln eindeutig als Punks zu identifizieren, würde niemand zu Hilfe kommen, wenn etwas schiefging.

»Zumindest wäre das Krankenhaus in Merheim nicht weit,« bemerkte Paul.

Die Idee, berufsmässige Schläger und Knastologen, die diese Buslinie gelegentlich nutzten, davon zu überzeugen, dass sie mit »alle Arschlöcher« nicht gemeint gewesen waren wurde von den Drei sehr schnell verworfen. Diese Leute wussten dass sie Arschlöcher waren und sie waren stolz darauf .

Die Möglichkeit den unvermeidlichen Kampf zu gewinnen, wurde aus leidvoller Erfahrung gar nicht erst in Erwägung gezogen.

»Ausserdem hat das vorher schon jemand gemacht. Lass uns was neues probieren. Was Abartiges!«, schlug Paul vor.

»JAAAAAAAAA!«, grölten Markus und Olli im Chor.

 

Sehr abartig war zu Beispiel die Idee, leckeren Vanillepudding mit kleinen Apfelstückchen und Lebensmittelfarbe so zu präparieren, dass er die beigerosa Färbung von frischer Kotze und auch die dazugehörige Konsistenz bekam.

Als Paul begann, die künstliche Kotze genüsslich in einen transparente Gefrierbeutel zu füllen, war die Stimmung bestens. »Du weisst schon, das du pervers bist?«, sagte Olli, er konnte das Lachen kaum unterdrücken. Markus stand ebenfalls das Grinsen ins Gesicht geschrieben.

«Wieso nur ich?«, entgegnete Paul. »Wenn wir das durchziehen, sind wir drei für die Leute hier endgültig durch. And alle anderen Punks dazu. Wir wollen’s doch abartig, oder?«

»Und ausserdem sind gewisse pastöse Mischungen bei uns ja schon quasi Tradition!«, warf Markus ein.

Die Quasitradition besagter »pastösen Mischungen« - in ihrer Cliquensprache »Pasta Ambra« genannt -, ging zurück auf widerwärtige Zusammenstellungen aus diversen verdorbenen Lebensmitteln. Die bezogen sie aus hintersten Ecken der elterlichen Kühlschränke und später auch aus den Müllcontainern der Nachbarschaft.

Ihre Mütter waren berufstätig und keine typischen Hausfrauen. Daher delegierten sie gelegentlich haushaltsnahe Aufgaben an ihre Söhne, die ihre Aufgaben nicht besonders ernst nahmen. Das führte dann zur Freude aller gelegentlich zu Auswüchsen, die man so normalerweise eher nicht in einem Kühlschrank haben möchte. Etwa in Form von Joghurt, überzogen mit einem dichten grünblauen Schimmelrasen - lecker!

Aus solchen Zutaten mischten sie dann unter Zuhilfenahme von Mutters Küchengeräten eine möglichst widerwärtige Paste; die wurde unter lautem Lachen überall im Ort auf ihrem Weg verteilte. Dafür ideale Plätze waren Briefkästen und Wartebänke an Haltestellen. Einmal füllten sie sogar den Hörer eines öffentlichen Telefons mit einer dünnflüssigen Mischung ihrer Paste. Anschliessend platzierten sie den Hörer waagerecht in der Telefonzelle.

Das Bild eines armen Opfers entstand in ihren Köpfen. Irgendein Typ, der sich den so präparierten Hörer ans Ohr hielt und dem daraufhin die widerlich stinkende Soße über den Mund ,ins Ohr und in den Kragen lief. Das brachte die drei eine gefühlte halbe Stunde zum Lachen. »Telefonieren in öffentlichen Telefonzellen - zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Paul Baumann.«

 

Aber das war lange her. Geschehen in einer Zeit, als sie den Punk noch nicht lebten, sondern nur fasziniert die Fotos der wilden Gestalten aus der BRAVO und Zeitschriften ausschnitten und jeden Artikel zum Thema verschlangen.

Anscheinend hatten sie schon damals anarchische Neigungen. Den Wunsch, das System zu erkunden, in dem sie lebten - indem sie es störten! Chaos verbreiten und so Reaktionen herauszukitzeln. Die erste Begegnung mit Punk und den Punks hatte etwas ausgelöst, was sich am ehesten mit einem Gefühl von Heimat bezeichnen ließ. Man spürte sofort, ob man dazugehörte - oder nicht!

 

Mongoloid, he was a mongoloid


Happier than you and me


Mongoloid, he was a mongoloid


And it determined what he could see

 

dröhnte es aus den Boxen von Ollis Stereoanlage, während Paul den Kotzbeutel fertigstellte. Das Ganze sah jetzt richtig widerlich aus. Allein der Anblick der schwabbelnden rosa beigeen Kunstkotze mit den darin schwimmenden Bröckchen war brechreizerregend. Den Geruch von Vanillepuddding und Apfel bekam ja keiner mit.

Paul wurde auf einmal klar, warum Kotzbeutel, wie sie bei Busreisen verteilt wurden, niemals transparent waren.

 

That he was a mongoloid, mongoloid


His friends were unaware


Mongoloid, he was a mongoloid


Nobody even cared

 

Der Song wirkte richtig inspirierend. Als Markus drei kleine Plastiklöffel auf den Tisch legte, war alles klar, der Plan stand. Die drei wußten genau, was sie den Kotzbeuteln tun war. Den Pudding irgendwohin schmieren, wie sie es Jahre zuvor mit ihren pastösen Mischungen aus stinkenden Abfällen getan hatten - das wäre Verschwendung. Der ÖPNV-Bus jedoch machte die Sache perfekt. Viel besser als »Alle Arschlöcher umdrehen«. Ob der Plan auch risikoärmer war. musste sich noch zeigen.

 

Mongoloid, he was a mongoloid


One chromosome, too many


Mongoloid, he was a mongoloid


And it determined what he could see



 

And he wore a hat


And he had a job


And he brought home the bacon


So that no one knew



Mongoloid, he was a mongoloid

 

Die letzten Takte des Devo-Songs waren gerade verklungen, als die drei ihre Jacken schnappten und mit literweise frischer Kunstkotze in den Taschen in Richtung der nahen Bushaltestelle rannten.

Nach wenigen Minuten fuhr der Bus ein. Die Jungs stiegen vorn ein und stempelten Fahrkartenimitate aus Karton. Als Trick, beim Fahrer durch das laute Ping den Eindruck zu vermeiden, Schwarzfahrer zu sein.

Auf dem Weg zum Heck des Busses stellten sie fest, dass die anderen Passagiere bis auf einige Schichtarbeiter und Schüler aus Hausfrauen und Rentnern bestanden. Also keine Gefahr, die Drei konnten entspannt auf der letzten Bank Platz nehmen.

Kaum war der Bus angefahren, produzierte Markus laute Würgegeräusche.

Olli rief panisch: »Scheisse, der kotzt gleich, tu was!«.

Markus Würgegeräusche wurden lauter und eindringlicher, er machte seine Sache wirklich gut.

Die anderen Fahrgäste begannen bereits über das Punkergesocks zu schimpfen … heutige Jugend, keine Ideale, nur Saufen und Ficken im Kopf! Die ganze Palette. Nur der Gaskammerspruch fehlte. Anscheinend waren heute keine verkappten Nazis im Bus.

»Ogottogott, es kommt!«, würgte Markus. Er würde auf seine alten Tage doch nicht etwa religiös werden?

»Um Gottes willen!«, fielen zwei Rentnerinnen in Markus seltsames Ritual ein.

Olli zog Markus Kopf nach oben und Paul drückte einen offenen transparenten Gefrierbeutel an Markus Mund und seinen Kopf wieder hinter die Lehne des vorderen Sitzes. Der begann sein Würgen ins Extreme zu steigern.

Olli und Paul begleiteten seinen wahrlich abartigen Würgegesang, indem sie durch Schlagen des vollen Puddingbeutels in die offene Handfläche das Aufklatschen von Kotze in den leeren Beutel imitierten. Wie den entsetzten Gesichtern der Mitfahrenden zu entnehmen war, sogar recht erfolgreich.

Als Paul triumphierend den Beutel mit ihrer puddingbasierten Kunstkotze in Richtung ihrer Mitfahrer hielt, mischte sich das Entsetzen schlagartig mit Ekel.

Sie mussten den Inhalt zwangsläufig für Markus frischen Mageninhalt halten.

Erste Würgegeräusche drangen aus dem vorderen Teil des Busses und mischten sich mit den Gesprächen und Kommentaren.

Als Markus fröhlich grinsend seinen Kopf hinter der Sitzlehne hervorhob und den anderen Beiden für alle sichtbar zwei Plastiklöffel reichte, wurde es schlagartig still im Bus.

Die drei Punks tunkten ihre Löffel in den transparenten Beutel und begannen genüsslich die sämig beige-rosafarbene Sitsche zu futtern - inklusive der gelblich-grünen Klümpchen, die darin trieben.

Das reichte, die Situation explodieren zu lassen.

Gesichter begannen sich grün zu färben, die zunehmenden Würgegeräusche und das vielstimmige »Ogottogott« mischte sich zu einer Kakophonie ohnegleichen. Ein Teil der Fahrgäste übergab sich - nun aber nicht gespielt, wie man an dem sich rasch ausbreitenden stechenden Geruch erkennen konnte.

»Lass uns aussteigen, sonst muss ich auch noch kotzen!«, würgte Paul hervor.

»Wie denn, die Haltestelle kommt doch erst in ein paar Minuten«, warf Markus ein.

In diesem Augenblick hatte Paul schon die Notbremse gezogen. Der Bus hielt mit quietschenden Reifen, die Tür öffnete sich, und die drei Punks rannten unter lautem Gelächter davon, einen mit Kotze verschmierten Bus mit einem Irritierten Fahrer und völlig verstörten Passagieren zurücklassend.

Das war ein guter Tag gewesen. Abermals hatten sie den Menschen in Boring Suburbia ein wenig Abwechslung verschafft, ihren langweiligen Alltag versüsst und sie vielleicht ein wenig zum Nachdenken gebracht. Das Chaos hatte heute eine kleinen Sieg über die Ordnung errungen.

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