Pankfurt, wir kommen!
Mit ÄTZER 81 nach Frankfurt (1)
Der erste Auftritt von Ätzer 81 in Frankfurt im Mai 1981 ließ zwei sehr ähnlich tickende Bands aufeinander treffen. Die einen wurden berühmt und erfolgreich, die anderen kultivierten erfolgreiches Scheitern. Was damals geschah, beantwortet auch der Live-Mitschnitt vom Ätzer-Konzert nicht, den Sittenstrolch kurze Zeit später veröffentlichte. Bis dahin hatte es kaum eine Band aus Stuttgart geschafft, in einer anderen deutschen Großstadt zu spielen. Ätzer 81 reisten entsprechend erwartungsvoll nach Frankfurt. Es kam dann ziemlich anders als erwartet.
»Dafür, dass es von Euch noch nicht mal ne Platte oder ein Tape gibt, seid Ihr schon auf einem ziemlich hohen Ross«, schrieb mir Alptruck. Es war eigentlich das Ergebnis eines Missverständnisses, denn das hohe Ross erkannte er vor allem in den ganzen Fragen, die ich ihm gestellt hatte und die klangen, als stellten wir sehr hohe Ansprüche. Die Wahrheit war viel trivialer. Da ich selbst überhaupt keine Erfahrung hatte, was eine Band benötigte, hatte ich Ätzer 81 natürlich gefragt, was sie brauchten um aufzutreten, aber vieles davon hatten sie eh selber und die Frage, ob es Geld für einen Auftritt geben würde, war ja nun nicht ganz außerirdisch.
Mitte März 1981 hatte ich mich selbst kurzentschlossen zum Manager von Ätzer 81 ernannt, weil ich kein Instrument spielen konnte, ich aber innerhalb der Szene irgendwas tun wollte und Bassist Lenker ein Kumpel von meiner Schule war. Keine Stuttgarter Punk-Band hatte einen Manager. Es war eher ein Gag, aber einer, den ich ernst nahm. Die Jungs waren alle 18-19, ich war sechzehneinhalb, ich wollte was beweisen. Ich wollte der Band Auftritte beschaffen, und wer weiß, evtl. ein paar anderen irgendwann auch noch. Es fragte ja keiner, ob man etwas kann oder sich etwas zutraut. Man machte, und die Szene schaute, was passiert. Wenn’s schief ging, ging’s halt schief, wenn nicht, umso besser.
Ich hatte Ätzer ihren ersten Testauftritt am 10. April im Jugendhaus Ost besorgt und sie für den 25. April ins Programm des Etzelstrassen-Festivals aufgenommen. Über Walter Baumann hatte ich Kontakt zu Alptruck bekommen, der in Frankfurt ein Kassettenlabel betrieb und auch Konzerte in Jugendhäusern organisierte. So stand ich innerhalb kurzer Zeit vor dem Meisterstück meiner kurzen Karriere als Manager einer Punk-Band. Als erste Stuttgarter Punk-Band sollten Ätzer 81 in Frankfurt spielen. Es war vermutlich überhaupt eines der ersten Male, dass es einer Stuttgarter Punk-Band gelungen war, einen Auftritt in einer anderen Großstadt zu ergattern. Ich glaube Normahl waren die ersten gewesen und bis dahin die einzigen, die das geschafft hatten. Die allermeisten Bands spielten in der Region, in den bekannten Clubs und Jugendzentren oder irgendwo im Umland, wenn sich durch Beziehungen oder zufällig was ergab. Aber Pankfurt, so der offizielle subkulturelle Name der Main-Metropole, da hatte es noch niemand hin geschafft. Und ich war dabei, Ätzer 81 dorthin zu vermitteln. Das bedeutete zugleich auch, dass ich als Manager durchaus was zustande brachte.
Alptruck schlug Ende Mai vor und einen damals durchaus üblichen Deal: Gespielt wird für Eintritt. D.h. keine feste Gage, die Kosten des lokalen Veranstalters bzw. der Location müssen über die Getränke gedeckt werden, der Eintritt geht an die Band. Wird’s voll, bleibt bei der Band was hängen, kommt keiner, hat man eben Pech gehabt. Ich sprach das mit der Band ab und sie sagten zu. Der Gig in Pankfurt würde stattfinden. Wenige Tage später hatten wir per Telefon den Termin klar: 29. Mai. Die im Brief mitschwingende Irritation räumten wir aus. Es gab kein hohes Ross, wir waren pflegeleicht. Alptruck schickte eine Anfahrtskizze, und die Band bemühte sich um ein Fahrzeug, mit dem sie nach Frankfurt kommen konnte. Übernachtungsmöglichkeiten hatten wir leider keine aufgetan, so würden wir im Fahrzeug übernachten. Lenker und Wolfi beschafften einen etwas betagten Ford Transit, der nun zum Ätzer-Band-Wagon wurde.
Am 29. Mai trafen wir uns morgens am Schlossplatz. Das Ätzer-Mobil hatte ich bis dahin noch nicht gesehen, ich war positiv überrascht. Hinten waren die Instrumente, Verstärker und Boxen, vorne konnte man zu dritt sitzen, d.h. immer zwei von uns würden auf dem Equipment sitzen. Ich packte meinen Schlafsack dazu, ebenso meinen Rucksack mit den persönlichen Utensilien für die Übernachtung. Die Band bestand aus drei eher großen und breiten Typen und Schlagzeuger Rudi, der ähnlich zierlich war wie ich. Aus Platzgründen nahmen sie immer einen von uns beiden Heringen mit nach vorne, dann war es da nicht so eng.
Unsere erste Station erreichten wir nach zwei Minuten. Die McDonald’s-Filiale am Schlossplatz hatte ihre Warenanlieferung in der Stauffenbergstraße auf der Rückseite des Gebäudes, ungefähr gegenüber des Eingangs zum Glastrakt des Gebäudes des Württembergischen Kunstvereins. Dort, auf der Rampe, lagerte McDonald’s teilweise relativ lange und unbeaufsichtigt auch die Paletten, auf denen die Burger-Brötchen in Plastiktüten verpackt angeliefert wurden. Das Rollgitter der Ladezone war immer oben, solange in der Filiale gearbeitet wurde, die Rampe war also frei zugänglich.
Da das Benzingeld vorgestreckt und im günstigsten Fall erst in Frankfurt wieder erspielt werden konnte, war das Unternehmen als Low-Budget-Reise konzipiert. Die Burger-Brötchen schienen uns eine geeignete Verpflegung für unterwegs zu sein. Wir sondierten die Lage, überzeugten uns, dass die Paletten tatsächlich ohne Aufsicht waren und luden vier Tüten mit Brötchen von der Rampe in den Transit um. Das dauerte nur wenige Augenblicke, und so konnten wir uns ohne großen Aufenthalt auf den Weg in Richtung Autobahn machen, heraus aus der Innenstadt des von Ätzer so legendär besungenen Kaputtgart. Ob es den Song zum damaligen Zeitpunkt schon gab, kann ich nicht mehr genau sagen, ich meine, er entstand erst im Sommer während der Arbeiten am Album. Bei den ersten Auftritten spielte die Band den Song nicht und er war auch meines Wissens nicht im Set für Frankfurt enthalten.
Zu trinken gab es Bier oder Cola, irgendjemand hatte auch an zwei Flaschen Mineralwasser gedacht – immerhin, uns konnte nichts passieren. Dass die Idee mit den McDonald’s-Brötchen nicht so genial war wie ursprünglich angenommen, sollte sich erst im Laufe der Fahrt zeigen. Der Burger-Filialist war noch relativ neu in Stuttgart, man hatte mit seinen Produkten noch wenig Erfahrung und ich war von Anfang an ein deutlich weniger großer Fan als so mancher andere Stuttgarter Punk. Die erste Runde Brötchen verursachte eine gewisse Ernüchterung. Sie hatten einen starken Eigengeruch, den ich von traditionellen Backwaren nicht kannte.
Um es vorweg zu nehmen: Ich kann diesen Geruch seit dieser Fahrt nach Frankfurt zweifelsfrei identifizieren. Er kam von dem Backtriebmittel, das diese Halbprodukte enthielten, und er verschwand offenbar, wenn sie in den Ofen kamen und erwärmt wurden. Es würde dann wohl mit der Wärme reagieren und das Burgerbrötchen sich zu dem entwickeln, was mit den entsprechenden weiteren Zutaten zusammen einen Burger ergab. Dass wir diese weiteren Zutaten nicht hatten, war uns klar, wir waren eine Punk-Band auf großer Fahrt zum ersten Konzert in einer auswärtigen Großstadt, da war der Belag für Brötchen eine spießige und unwesentliche Kleinigkeit, auf die man leicht verzichten konnte. Wir hatten aber auch keinen Ofen oder etwas anderes, womit wir die Brötchen erwärmen konnten. So waren wir vom ersten Bissen doch ein wenig irritiert. Die Konsistenz war der von Toastbrot vergleichbar, der Geruch durch das Backtriebmittel sehr eigen und auch penetrant. Beim Kauen stießen die Zähne praktisch auf keinen Widerstand, man aß ein sehr trockenes Etwas, das auch einen signifikanten Beigeschmack hatte, den wir ebenfalls auf das Backtriebmittel zurückführten. Mit etwas Cola oder Bier ließ sich das Gekaute herunterspülen. Es war keine Sterneküche, aber wenn man genug davon zu sich nehmen würde, würde es uns schon satt machen. Und genug für alle hatten wir davon definitiv an Bord.
Die Fahrt verlief ohne größere Vorkommnisse, die meiste Zeit saßen Wolfi oder Lenker am Steuer, die Besetzung der Dreierbank wechselte mehrmals. Meine Eltern hatten nie ein Auto besessen, ich war Reisen mit Bus und Bahn gewohnt. Mit den Jungs auf der Autobahn im Bandbus war für mich ein Abenteuer. Wir fuhren auf der A81 bis Weinsberg und wechselten dann auf die A6. Wir passierten das Autobahnkreuz bei Walldorf und näherten uns Hockenheim.
»Ist das nicht die Rennstrecke, wo auch die Formel 1 stattfindet?« - Doch, sagte Wolfi. Eigentlich interessierte sich bei den Punks niemand für die Formel 1, aber in unserer Kindheit waren Fußball und Motorsport zumindest irgendwie vorgekommen und man hatte das dann doch halbwegs im Hinterkopf. In diesem Augenblick war es eben einfach eine legendäre Rennstrecke, an der wir hier auf der Autobahn vorbeifuhren. Vom Kurs selber gab es eh nichts zu sehen, aber wir sind jetzt immerhin mal dran vorbei gefahren. Dass hier die Böhsen Onkelz 33 Jahre später ihr triumphales Comeback vor 100.000 Besuchern geben würden, war zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar. Wir wussten noch nicht einmal, dass es eine Band mit diesem Namen gab.
An dieser Stelle lohnt sich ein kleiner Exkurs, denn manche Dinge, die die Böhsen Onkelz über Jahre hinweg kultivierten, und die zu ihrem Nimbus führten, waren auch bei Ätzer 81 damals durchaus vorhanden.
Es gab im Punk häufig ein Thema, das bei einer Band stark im Vordergrund stand. Manche Bands standen in dem Ruf Anarcho-Ideologen zu sein, andere standen eher für Krawall und Suff, dann gab es die Fun-Punks, die vor allem einfach gute Stimmung und Pogo verbreiten wollten, die Experimentellen, die reinen Dilettanten, die wirklich nur drei Akkorde konnten, und für die daher schon ein vollendeter Live-Auftritt eine Sensation war.
Ätzer 81 zeichneten sich durch drei Dinge aus: Die Band tat alles, um überall anzuecken und bezog daraus den selbstentwickelten Nimbus von allen gehasst zu werden, was auch zu einem entsprechenden Songtext (»Die Gehassten«) führte. Diese Technik, die Leute ständig vor den Kopf zu stoßen, bis sie genervt sind, um sich dann als diejenigen zu inszenieren, die keiner mag, weil sie eben anders als alle anderen sind, haben vor allem Wolfi und Rübe mit zuverlässiger Regelmäßigkeit gepflegt. Es sollte sich später am Beispiel der Böhsen Onkelz zeigen, dass man mit dieser Methode unfassbar erfolgreich werden kann, und am Beispiel der AfD, dass man damit sogar eine Partei erfolgreich in die Parlamente bringen kann.
Aber die Böhsen Onkelz kannte zu diesem Zeitpunkt noch niemand, die AfD gab es noch nicht und Ätzer 81 fehlte es schlicht an der nötigen Konsequenz um irgendwie größer zu werden. Das lag vor allem an Rübe, der innerhalb der Band den Kult des Punk-Genies pflegte, der zweiten prägenden Komponente dieser Formation. Demzufolge war Proben unnötig und für Weicheier. Man konnte auf die Bühne gehen und spielen und es würde schon was dabei herauskommen. Das selbstdefinierte Genie lebte und handelte nach dieser Maxime, was dazu führte, dass auch die zuvor getroffenen Abmachungen, was man beim Auftritt wie spielen wolle, im entscheidenden Augenblick den Status einer unverbindlichen Absichtserklärung erreichte und er im Zweifelsfall seiner Inspiration freien Lauf ließ. Bandmitglieder, die es gerne etwas verlässlicher gehabt hätten, wurden in der Regel in Rübes Bands nicht alt.
FORTSETZUNG FOLGT