Onkelz wie die
Mit ÄTZER 81 nach Frankfurt (3)
Vor der Bühne machte ein Typ zunehmend Stunk, der schon vor dem Konzert versucht hatte, Rübe in eine Auseinandersetzung zu verwickeln. Er war besoffen, versuchte an das Gitarrenkabel zu kommen und es aus der Gitarre zu ziehen. Er versuchte Rühe am Hosenbein zu packen. Es wurde gespuckt, Bier flog durch die Luft, es wurde gepöbelt. Als er Rübe wieder ans Hosenbein wollte, trat der nach dem Provokateur und traf ihn an der Schulter, so dass der rücklings stürzte. Die Situation entglitt. Noch während die Band spielte, kam der Typ auf die Bühne. Er holte zum Schlag gegen Rübe aus, der ihn aber in Richtung Lenker stieß. Durch den Aufprall wurde dem die Brille von der Nase gestoßen. Er spielte weiter, weitgehend blind, auch Wolfi sang weiter, während Rübe seinen Kontrahenten kurzfristig von der Bühne drängen konnte.
Im Getümmel sah ich Lenkers Brille vor dem Schlagzeug liegen, krabbelte auf die Bühne und hob sie auf. Sie war noch heil. Lenker setze sie dankbar auf. Gerade rechtzeitig.
Jetzt war das Volk in Bewegung, der Provokateur und seine Freunde legten es auf eine Schlägerei mit Ätzer an, und so endete das Konzert im Tumult.
Auch hier zeigte sich Wolfi als wenig hilfreich. Mit seinen üblichen Sprüchen, mit denen er sich und die Band gerne als Provokateure in Szene setzte, goss er Öl ins Feuer und verstärke das Chaos.
Während er und Rübe sich mehreren Frankfurtern gegenüber sahen, war Lenker von der Bühne gesprungen. Einer der Leute vom JuZ drückte ihm einen Queue in die Hand, damit er sich verteidigen könne, aber Lenker meinte nur: »Ich bin doch nicht hier, um mich zu prügeln«.
Der Hippie schubste ihn daraufhin ins Büro und schloss ihn dort ein. Rudi und ich hatten uns dazu entschlossen, den Weg nach draußen zu nehmen, wo wir auch auf Sittenstrolch trafen, der uns erklärte, dass der Typ leider öfter mal Stunk mache, er sei aber nicht der einzige. Es gebe nun mal ein paar in der Szene, mit denen man immer wieder Ärger habe.
Auch Wolfi und Rübe kämpften sich schließlich den Weg nach draußen frei, sie wirkten wohlauf und unverletzt, freilich ziemlich aufgewühlt und angepisst. Der Störer und seine Freunde waren im Getümmel irgendwann verschwunden und hatten sich irgendwohin absetzen können. Rausgekommen waren die Störer aber noch nicht, und so gingen wir erstmal nicht wieder rein. Es dauerte etwas, bis sich der Laden leerte, und ich meinte auch einen Teil der Aggressoren im Pulk der Leute zu erkennen, die das JuZ verließen. Wir warteten noch ein paar Minuten, bis einer der Leute vom JuZ kam und meinte, die Schläger seien abgezogen, wir könnten unsere Sachen abbauen.
Inzwischen war auch Lenker wieder aufgetaucht. Es hatte niemand von uns mitbekommen, dass er ins Büro eingeschlossen worden war. Dort erlebte er traumatische Momente, als die Pöbler versuchten, die Tür einzutreten, gegen sie schlugen und hämmerten, herumschrieen, er solle herauskommen, und ihm wurde klar, warum ihm der Queue angeboten worden war. Er hatte ihn nicht angenommen und im Büro war auch nichts zu finden, das als Waffe hätte dienen können. Nach einer Weile schien der Elan der Frankfurter nachzulassen, und sie brachen die Aktion ab. Nachdem sie das Gebäude verlassen hatten, konnten die Mitarbeiter vom JuZ unseren Basser wieder aus dem Büro befreien.
Wir vereinbarten, die großen Sachen bis zum Morgen stehen zu lassen, da wir ja im Auto schlafen mussten, und nahmen nur die Instrumente mit. Wir hatten noch ein paar Bier an Bord, die uns halfen, herunterzukommen und den Abend abzuhaken.
Am nächsten Morgen wurde ich von Rübes Gezeter wach. Er war wohl zum Pinkeln raus, und bei der Rückkehr entdeckte er, dass der Transit in dieser Nacht mit diversen Parolen beschmiert worden war. Der Ätzer-Bus hatte ein individuelles Aussehen bekommen, was die Band freilich nicht wirklich gut fand.
Doch es half natürlich nichts. Die Situation war, wie sie war. Wir warteten auf den Mitarbeiter vom JuZ und luden unsere Sachen ein. Am Abend sollte hier eine Band aus Frankfurt spielen. So verbrachten wir den Tag in der Stadt, trafen uns nochmal mit unseren Frankfurter Kumpels. Man ließ die Ereignisse nochmal Revue passieren, wir rechneten die Eintrittsgelder ab. So schlecht war es gar nicht gelaufen, das Benzingeld war reingekommen und es reichte noch, was zum Essen zu kaufen und ein paar Bier. Insgesamt eine erfolgreiche Veranstaltung, auch wenn uns das unrühmliche Ende noch nachhing. Es hätte ja aber auch schlimmer kommen können. Sittenstrolch hatte das Konzert mitgeschnitten und wollte ein Tape davon herausbringen. Aus Manager-Sicht war ich zufrieden.
Der Tag verging recht schnell. Am Abend fanden wir uns wieder im JuZ ein. Es wurde recht voll, die Situation war weniger angespannt als am Vortag. Die Leute waren offenbar eher geneigt, eine Band ihr Set fertig spielen zu lassen, die ein Heimspiel hatte. Sittenstrolch sagte, sie sollen gut sein, aber er habe sie auch noch nicht live gesehen, Alptruck war wohl schon mal irgendwo auf einem Auftritt von ihnen. »Wie heißt die Band nochmal?« – »Böhse Onkelz«. Ah, ok, kann man sich leicht merken. Am JuZ hing auch eine Ankündigung. »Haben wohl schon drei, viermal live gespielt«, ergänzte Alptruck. Man könne ja aber unmöglich überall dabei sein.
Wir mischten uns unters Volk. Ein paar Gesichter erkannte ich vom Vorabend wieder, Leute, die sich in die Schlägerei nicht eingemischt hatten. Zwei, drei grüßten auch, fanden den Ätzer-Auftritt gut und bedauerten, dass es so zu Ende ging, aber manche trinken eben einfach zu viel. Ja, das passiert halt manchmal, ist anderen auch schon passiert, in Hamburg, in Berlin deutlich öfter als im Raum Stuttgart, die Schwaben sind da insgesamt doch eher brav. In einer Ecke standen auch die Krawallbrüder vom Vortag. Sie beschäftigten sich mit sich selbst. Die Ätzer-Jungs hatten sie wohl noch nicht gesehen. Ich dachte, wenn genug Publikum dazwischen ist, muss man die Diskussion vom Vortag vielleicht gar nicht fortsetzen. Oder die können notfalls zur Klärung rausgehen.
Zu meiner Überraschung waren sie aber an diesem Abend gar nicht auf Stunk aus, sondern erklommen die Bühne. Es war ihr Gig, sie waren die Böhsen Onkelz, und da derjenige, der am Vorabend alles angezettelt hatte, nun ans Mikro trat, kennen wir bis heute seinen Namen. Kevin Russell wirkte nüchterner als am Vorabend, aber er wusste wohl genau, was da gelaufen war. Als er beim Singen Rübe und Wolfi im Publikum entdeckte, machte er ein paar feixende Gesten in ihre Richtung, die nicht eindeutig zu verstehen waren. Es wirkte wie eine Mischung aus »Ach, ihr Arschlöcher seid auch da« und »Na, war doch ne geile Show gestern Abend, und wir haben unseren Ruf gefestigt«. In seinen Ansagen ging er auf Ätzer nicht ein, er löste das nicht auf. Vielleicht betrachtete er die Dinge auch mit genau dieser Art von Ambivalenz, die man bei Hooligans auch findet: Wenn sie aufeinander treffen, prügeln sie sich - und sie tun alles, um aufeinander zu treffen, weil sie sich über diese Form der Auseinandersetzung definieren! Man liebt den Feind, den man bekämpft, weil er Bestandteil der eigenen Abgrenzung ist, und damit letztlich ein Teil der Selbstdefinition.
Lenker sah das nicht so gelassen und überlegte, ob er Kevin nicht von der Bühne holen sollte, aber Wolfi und Rübe wollten nicht mitmachen. Auch sie schienen den gestrigen Abend eher als abgeschlossen zu betrachten, obwohl sehr wahrscheinlich diese Wichser unser Auto vollgeschmiert hatten. Aber Lenker alleine gegen die Onkelz hatte am Vorabend schon nicht funktioniert, und uns war klar, dass die auch eine gewisse Hausmacht im Publikum haben würden. Das Kräfteverhältnis sprach eindeutig gegen eine Revanche. Das war auch musikalisch die bessere Entscheidung, denn die Onkelz lieferten einen ziemlich guten Gig ab, wie wir alle neidlos anerkannten. So blieben wir bis zum Ende, es blieb friedlich, und nachdem die Onkelz fertig waren, machten wir uns den Heimweg.
Sittenstrolch veröffentlichte ein paar Wochen später tatsächlich das Tape »Ätzer 81 live in Frankfurt«. Es war die erste »offizielle« Veröffentlichung der Band, zusammen mit den vier Songs, die auf dem Weilheim-Tape von GAWs BuBu Musikverbreitung enthalten waren. Auf dem Frankfurt-Tape hört man, wie das Konzert recht abrupt endet.
Nach dem Auftritt in Frankfurt eskalierten die Differenzen zwischen Lenker und der Band. Wolfi und Rübe trennten sich kurzentschlossen von ihrem Bassisten. Und in diesem Zusammenhang erklärten sie auch mir, sie benötigten keinen Manager. Ich war im Grunde nicht böse, auch wenn ich das im ersten Augenblick als undankbar empfand. Aber Frankfurt hatte auch gezeigt, dass wir doch sehr unterschiedlich waren. Es passte letztlich nicht und so ging man getrennte Wege. In meinem Fanzine »Aus Spass an der Freud« Nr. 2 grüßte ich später die Böhsen Onkelz, die zu diesem Zeitpunkt in Stuttgart noch immer niemand kannte. Es war eine ironische Anspielung auf diese beiden Abende in Frankfurt. Anfang 1982 spielten Ätzer mit ihrer LP im Gepäck und in neuer Besetzung Wolfi, Rübe, Ringo (Bass) und Ingmar (Schlagzeug) noch einmal in Frankfurt. Die Kontakte hatten sie sich warmgehalten. Doch die Karriere der Band näherte sich da bereits ihrer Schlussphase, die ich letztlich nur noch aus der Distanz verfolgte.