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Story
Aus der Foto-Love-Story für HACKFLEISCH #4/6 (1986)., Foto: Michael Zielke.

HK Winterscheid

Boring Suburbia 1

von

»Da soll ich wirklich anrufen, seid ihr sicher?«, fragte Paul, während er die aus dem Telefonapparat führenden Kabel mehr oder weniger geschickt mit dem Line-Eingang des Verstärkers der Stereoanlage verband. »Also Peter, ich soll also bei Dir zu Hause anrufen, einen Bullen spielen und irgendeinen Scheiss mit deinem Bruder erzählen?«

»Ja, meine Mam wird voll darauf reinfallen, wenn du gut bist. Gundolf hat schon soviel Scheisse gebaut, meine Mutter glaubt das sofort.

«Na, ich weiss nicht …«, grummelte Paul.

Im Hintergrund dröhnte »Babylon’s Burning« von den Ruts aus den Boxen, eine von Pauls Lieblingsbands. Gesendet von BFBS-Radio und John Peel, dem Rufer in der Betonwüste und erst recht in der Kölner Vorstadt. Was Peter und Christian am Arsch vorbeiging, die standen auf Asidisco und Schlager.Hier in Suburbia konnte man sich seine Kumpels nicht immer aussuchen. Aber da mußten sie jetzt eben zusammen durch, wenn Babylon brennen sollte. Gut, wenn schon nicht ganz Babylon, dann zumindest Köln-Rodenkirchen..

»Ich erzähl dir mal, wie der so drauf ist«, sagte Christian, der jüngste der drei Genossen des Chaos, der sich bisher zurückgehalten hatte. »Die Geschichte ist ungefähr zwei Jahre her … Peter hat’s mir schon tausendmal erzähl, ich lach mich jedes Mal kaputt …«

 

Das Ganze hatte sich in etwa so abgespielt:

Peter saß eines Tages mit seinem Bruder und der Mutter beim Abendessen, als es an der Tür klingelte. Die Mutter öffnete, und vor der Haustür standen zwei grinsende Polizisten.

»Frau Köhler, ist Ihr Sohn zu Hause?«

»Was hat er denn jetzt wieder angestellt?«, fragte die Mutter, schon leicht genervt und sehr gewiss, welcher ihrer beiden Söhne wohl gemeint war.

»Es geht um dieses Mofa.« Der der Haustür am nächsten stehende Polizist zeigte auf ein leicht verbeultes Mofa vom Typ Peugeot 103 neben der Eingangstür, von dem sich eine deutlich erkennbare Schleifspur durch den Schnee in Richtung Straße zog.

»Frau Köhler, Ihr Sohn Gundolf hat offenbar seinen Mofaschlüssel verloren und daher beschlossen, sein Fahrzeug über drei Kilometer weit mit blockiertem Hinterrad nach Hause zu schleifen. Wir sind dann nur noch der Schleifspur gefolgt. Und jetzt ernsthaft, Frau Köhler, wo ist Uhr Sohn?«

So weit die Geschichte.

 

»Scheisse, was für ein Mongo!«, entfuhr es Paul, er spuckte laut lachend einen Schwall aus Bier und Schaum in Richtung Stereoanlage. Zügig riss er den Netzstecker aus der Wandsteckdose - für den Fall, dass doch etwas von der kostbaren Gerstenkaltschale in die Elektronik geraten war. Flüssigkeiten und elektrischer Strom vertragen sich bekanntermassen nicht so gut.

Peter schaute Paul irritiert an, mit dem kleinen Wörtchen »Mongo« war er offenbar zu weit gegangen, immerhin war der irre Mofaschleifer sein Bruder Gundolf.

»Also, Paul, willst du jetzt da anrufen?«

»Ok«, willigte er ein. »Ich werde ein wenig improvisieren, aber vorher brauche ich noch ein Bier. Wir müssen eh sichergehen, dass der Verstärker trockengeblieben ist.

 

Nach rund einer Stunde und deutlich mehr als einem Bier hob Paul den Hörer des grauen Wählscheibentelefons Modell FeTap 611 von der Gabel, steckte den Zeigefinger in die Position 2 der Wählscheibe und begann eine sechsstellige Nummer zu wählen.

Krrrk ratatatat krrk raatatatat … klang es aus den Lautsprecherboxen.

Tuuuuut-tuuut. Klick.

«Köhler, hallo?!«

»Winterscheid, Kriminalpolizei. Ihr Sohn ist flüchtig, wir haben ihn heute Abend gefasst bei einem Einbruch in einen Juwelierladen in Köln.«

»Meinen Sohn?«

Oh Mann, jetzt bloß zusammenreissen und einfach weitersprechen, dachte Paul. Ich glaub, die hat den Widerspruch nicht bemerkt, ist noch aufgeregter, als Peter und Christian. Er schnappte heftig nach Luft und konnte kaum atmen, dieser verdammte Lachflash kam wirklich ungelegen.

»Ihr Sohn heißt Gundolf Köhler, ist doch richtig, ja?«

»Ja!«

»Gut. Gundolf Köhler ist also Ihr Sohn. Er ist momentan flüchtig, bitte rufen sie bei der Polizeidienststelle Waidmarkt an.«

»Wie - wenn der kommt, oder was?«

»Ja, sobald er sich zuhause meldet. Im Waidmarkt anrufen. Auf Wiederhören.«

Klick.

 

»Das ist ja der reinste Telefonterror«, bemerkte Christian grinsend.«

Das ohrenbetäubende Gelächter der drei war sicher noch bis in den dritten Stock zu hören.

Paul stoppte die Aufnahme mit der Pausentaste des Kassettendecks.

»Was jetzt - hat noch jemand Geld für Bier?«, fragte Christian.

Keiner der beiden anderen war noch flüssig, also was tun?

Die Pappscheibe, mit der Paul regelmässig den Geldrückgabeschacht des Zigarettenautomaten an der Straße von innen blockierte, um die Nikotinsüchtigen des Häuserblocks um ihr Wechselgeld zu erleichtern, war erst vor wenigen Stunden erneuert worden.

Für die anderen Automaten im Ort waren die Straßen noch zu belebt. Bei einigen bestand zudem der Verdacht, dass jemand die Manipulation entdeckt hatte und sich nun seinerseits am verschwundenen Wechselgeld bediente.

Diese Geldquellen würde er dauerhaft abschreiben müssen, eine Konfrontation mit möglicherweise gefährlichen Konkurrenten galt es zu vermeiden. Paul erwog diese Automaten beizeiten mit einfachem Schwarzpulver in die Luft zu sprengen, um die Behörden auf seine Mitesser aufmerksam zu machen und die Konkurrenz auf diese Weise auszuschalten.

Paul wischte die Tagträume vom Aufbau einer kriminellen Karriere beiseite und widmete sich wieder Peter und Christian, mit denen er einige Vorschläge zur Alkoholbeschaffung austauschte und wieder verwarf.

Übrig blieb der Zugriff auf die Alkoholvorräte in den Kellerverschlägen der Nachbarn des Mehrfamilienhauses, aus denen Paul sich in größeren Abständen immer wieder mal bediente. Die Aktion musste unauffällig und ohne Spuren zu hinterlassen ablaufen. Es war unabdingbar, sich die Positionen und Zustände aller - und das hieß wirklich aller - Gegenstände im Verschlag zu merken, um hinterher den Originalzustand so gut wie möglich wiederherzustellen. Sehr gefährlich waren auch verstaubte Flächen, die in solchen Kellerverschlägen sehr häufig vorkamen. Verwischter Staub ließ sich nämlich nicht wirklich gut wieder auftragen.

 

Eine halbe Stunde später: Vorsichtig näherte sich Paul mit einem Schlitzschraubendreher den einfachen Senkkopfschrauben, mit denen der Riegel an der Lattentür befestigt war. Peter und Christian standen an der Kellereingangstür, um nötigenfalls neugierige Nachbarn abzulenken.

Was ist denn das?, fragte sich Paul und nahm den Riegel näher in Augenschein. Da hatte Herr Sembowski, dem dieser Kellerverschlag gehörte, wohl Verdacht geschöpft. Auf sämtlichen Schraubköpfen befand sich jeweils ein Tropfen ausgehärteter Klebstoff, augenscheinlich gewöhnlicher Alleskleber.

Na wenn’s weiter nichts ist! Er zeichnete akribisch die genauen Positionen der Schraubenschlitze auf ein Blatt Papier.

Alles weitere zog sich dann doch ein wenig hin: vorsichtiges Entfernen des Klebstoffes und anschliessendes Lösen der Schrauben mit darauffolgender Türöffnung. Und schließlich die Entnahme von drei Flaschen Weisswein von Mosel, Saar und Ruwer aus dem nicht gerade kleinen Vorrat, gefolgt vom Wiederverschrauben des Türriegels einschliesslich der richtigen Positionierung der Schraubenschlitze. Und zu guter Letzt die Wiederversiegelung der Schraubköpfe mit je einem Tropfen frischem Alleskleber, wovon er immer eine Tube in seiner Werkzeugtasche hatte.

Die ganze Aktion war wesentlich zeitaufwändiger geworden, und damit stieg das Risiko erwischt zu werden deutlich an. Ein Punkt für Herrn Sembowski, dachte Paul. Er würde die Abstände, in denen er sich aus dem Keller bediente, vergrößern müssen. Am besten, er beschränkte seine Aktionen - zumindest was diesen Kellerverschlag betraf - vollständig auf die Urlaubszeiten, in denen Herr Sembowskis Tochter auf die Wohnung aufpasste. Üblicherweise kam das zweimal im Jahr vor, und regelmäßig empfing sie auch Liebhaber. Es war klar, auf wen Herr Sembowskis Verdacht zuerst fiel, wenn Alkohol aus seinem Vorrat fehlte.

Wieder zurück in Pauls Zimmer in der elterlichen Wohnung im Hochparterre, kamen Peter allmählich Bedenken ob der möglichen Konsequenzen, die der abendliche Anruf von »Hauptkommissar Winterscheid« für seinen Bruder haben mochte.

 

Die drei beschlossen, die Lage zu peilen, Peter sollte Gundolf anrufen. Von dem sie wußten, daß er abends immer am anderen Ende der Stadt bei seiner Freundin abhing.

Die Stereoanlage war noch eingeschaltet, und so musste Paul nur noch die Bandaufnahme starten. Gundolf nahm beim zweiten Signalton ab, und nach einem Austausch belangloser Floskeln war bald klar, daß bei den Köhlers die Scheiße beinahe schon überkochte.

»Wie … wat määste, wat hätt die jesaat?«, begann Peter die vorsichtige Befragung.

»Ja do kunns disch freue, wenn de no hus kommst!«

»Wiso dat denn?«

»Ja weil de dich freue kanns.«

»Wat hat die denn jesaat?«

»Dat du Prüjel kriss.«

»Wer?«

»Duuu, Peter!«

»Wieso denn ich?«

»Ja, wesisch nit«

»Mich kannste nit verarsche, Gundolf! Saach ens , wat hätt die echt jesaat ?«

»Ja bei uns hat die Polizee anjerufen.«

»Bei euch?

»Ja!«

»Ja, ich soll injebroche han … ja in ne Juwelierlade un …«

»Juwelierladen?!! Owei, un wat säät de Mamma da?«

»Ja, ich kann jehn!«

»Ach du Scheisse …!«

»Wann bist Du denn zohus, Peter? So unjefär, dann bin ich auch da, dann jibts nit su vill Ärjer.

»Vedel na elf.«

»Is jut. Un lass die Anruferei sein.«

Klick.

 

Eigentlich war alles super gelaufen.Aber wie sagt man so schön: »Man scheisst nicht vor seine eigene Tür.« Gundolf obdachlos zu machen, war jetzt wirklich nicht das, was sie beabsichtigt hatten.

Paul wurde klar, das sie etwas unternehmen mussten, man würde ihm das sonst ewig nachtragen. «Der Paul, das Arschloch, wegen dem Peters Bruder jetzt auf der Straße liegt!« Und das wegen einem fingierten Telefonanruf. Das wußte zwar keiner, aber trotzdem. Vielleicht ja doch, irgendwann, durch einen Zufall.

»Wer ist jetzt der Schuldige?«, fragte Paul in die Runde.

»Na, dieser scheiss Bulle, der Winterscheid von der Kripo.« antworteten Christian und Peter fast zeitgleich.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl, der die Lösung enthielt. Paul musste nur noch einmal den Winterscheid geben, bei Peter und Gundolfs Mutter anrufen und das Ganze irgendwie auflösen.

 

Paul spielte verschiedene Varianten im Kopf durch.

»Guten Abend Frau Köhler … die bayerischen Kollegen haben ihren Sohn inzwischen gefunden. Er war in München, auf dem Oktoberfest.« - »Frau Köhler, es tut uns leid, dass es solange gedauert hat, aber die blutigen Überreste ihres Sohnes waren über eine so grosse Fläche verteilt dass man erst schauen mussten was wo hingehört.« - »Es war wie im Krieg, Frau Köhler!«

Paul grinste innerlich, verwarf diese Version aber aus naheliegenden Gründen schnell.

Peter würde ihm, wie man so schön sagt, umgehend die Fresse polieren, wenn er mit so was ankam.

Er beschloss, diese Idee für ein anderes Chaostelefonat abzuspeichern.

HK Winterscheid war schon ein richtiger Psycho!

 

Der Rest war simples Handwerk. Hauptkommissar Winterscheid rief noch einmal bei Frau Köhler an und erklärte mit schnell vorgetragenen inhaltsleeren Floskeln, unter Zurückweisung jeder Verantwortung der Behörde, dass eine Verwechslung vorgelegen hätte und ihr Sohn somit entlastet sei. Damit war die Kuh vom Eis.

 

Das nächste Mal, schwor Paul, würde HK Winterscheid einen Terroranschlag ankündigen. Oder meldete den Austritt von Radioaktivität in derStadt. Wem auch immer.

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