1981: »Whisky« im Gemeinschaftsraum
Gelas Erinnerungen (7)
War die Anzahl der Hannover-Punks bis 1980 noch überschaubar, so sollte sich das 1981 ändern. Endlich hatten wir einen Ort gefunden, von dem wir nicht vertrieben wurden: das UJZ in der Kornstraße. Es wurden stetig mehr Punks, und selbst die jüngeren unter den Autonomen, die vorher schon das UJZ bevölkerten, schnitten sich die langen Haare und spielten in Punkbands.
Ich wohnte immer noch bei Bernd in der List und nervte den Armen, indem ich die Wohnung in ein Asyl für obdachlose Punks verwandelte. Zuerst quartierte ich Reni im Gemeinschaftsraum ein. Sie war von Zuhause fortgelaufen. Zum Dank dafür besprühte sie mir die Wände meines Zimmers mit Farbe. Das stieß aber nicht auf allgemeine Begeisterung. Nachdem ich telefonisch Kontakt zu ihrer Oma aufgenommen hatte, kehrte sie wieder nach Hause zurück.
Später bot ich dann noch nacheinander und teilweise gleichzeitig einer 15jährigen Schweizerin und einer 35jährigen Französin Unterkunft im Gemeinschaftszimmer. Altersmäßig befand ich mich da ca. in der Mitte von beiden.
Das Schweizer Mädel war echt hart drauf. Sie ritzte sich die Arme brutal auf und trat nach jedem kleinen Hund, der ihr vor die Füße lief. Und weil sie der Meinung war, daß die Welt eh schon nicht mehr zu retten sei, kippte sie Mülleimer aus, damit der Dreck offen sichtbar werde.
Janine aus Frankreich hatte ihren Mann und ihr Kind verlassen, um sich in Hannover den Punks anzuschließen. Sie war mit Abstand die Älteste und wurde von den Jungen 'Punk-Oma' genannt
Irgendwann konnte der Gemeinschaftsraum der Wohnung wieder zum Fernsehen genutzt werden, alle Mitbewohner auf Zeit waren fort. Die kleine Schweizerin hatte aber vergessen, ihre Ratte mit Namen 'Whisky' mitzunehmen. Bernd wurde beim Fernsehen von ihr erschreckt. Sie kam aus einem Winkel des Zimmers hervorgeschossen, lief an seinem Bein hinauf bis zur Schulter, dann wieder hinunter und verschwand. Wo genau die Ratte in der Wohnung lebte, war aber nicht klar. Bernd bekam deshalb einige Albträume.
Mich erschreckte sie etwas später auf die gleiche Weise. Danach sahen wir sie nie wieder.
Da es nun auch nicht irgendwo unangenehm zu riechen anfing, mußte »Whisky« wohl einen Weg nach draußen gefunden haben.
Ich war jetzt das zweite Mal mit Kaki zusammen. Das war nicht ganz leicht, da sein Interesse hauptsächlich irgendwelchen Betäubungsmitteln galt. Morgens griff er zuerst ein dickes Medikamentenverzeichnis und danach eine Adressenliste der Ärzte. Dann überlegte er, was von wem zu bekommen war. Meistens ging er zu Doktor Schmalz, wo notfalls auch die Putzfrau Rezepte ausstellte. Einmal gab er mir seine gesamten Tabletten mit der Bitte, sie ihm auf keinem Fall zurückzugeben. Keine zehn Minuten später ging er mir an die Gurgel, weil ich sie ihm nicht wiedergeben wollte. Sonst war er aber ein netter Kerl. Einmal waren wir auf dem Weg zur »Roten Kuh«, als ein Mädchen von einem Typen belästigt wurde, und obwohl Kaki ein eher ängstlicher Typ war, half er dem Mädchen und bekam eins auf die Nase.
Eine seiner anderen Schwächen war seine Eitelkeit. Er konnte an keinem Spiegel vorbeigehen, ohne hinein zu schauen und seine Haare zu kämmen. In einem Punk-Fanzine wurde er von dem Herausgeber als »Hannovers schönster Punk« bezeichnet.
Durch Kaki bekam ich auch näheren Kontakt zu seinem Freund Matthies, der auch Karsten hieß und ihm sehr ähnlich sah. Die beiden waren die »terrible Twins« was Drogen anbelangte. Bei Matthies war es noch extremer. Er schoß sich mit packungsweise Schlaftabletten weg. Einmal besuchte er mich in meinem Zimmer und versprach, nichts zu schlucken. Als ich kurz draußen war, fing er einige Zeit später zu lallen und zu sabbern an. Ich konnte das nicht mehr ertragen und schleifte ihn an den Beinen aus meinem Zimmer. Daraufhin schwor ich mir, das Zeug selbst nicht mehr anzurühren.
Matthies sollte das erste Drogenopfer aus unserem Umfeld werden.