1981: Reisefieber
Gelas Erinnerungen (8)
Diesen Sommer nutzte ich wieder zum Verreisen. Isabell und ich trampten nach Berlin. Wir hatten kein richtiges Ziel dort und wußten auch nicht, wo wir übernachten sollten. Am Kotti setzten wir uns auf eine Treppe und fragten die Vorüberlaufenden, ob sie einen Schlafplatz hätten. Ein sehr nettes Wave-Mädel nahm uns mit in ihre WG, und wir konnten dort in der Ladenwohnung mehrere Nächte schlafen. Wir hatten fast die ganze Zeit die Wohnung für uns allein. Morgens setzten wir uns zum Frühstück in das Schaufenster und ließen uns von den Passanten begaffen. Manchmal taten wir so als wären wir Schaufensterpuppen. Oder wir liefen Zombie-like mit künstlichen Händen durch die Wohnung und erschreckten uns gegenseitig. Es gab auch ein Klavier, und Isabell brachte mir den Flohwalzer bei. Es war toll, einen Ausgangspunkt für Unternehmungen zu haben und zu wissen, wo wir abends schlafen konnten.
Nachdem wir wieder zurück in Hannover waren, dauerte es nicht lange, und wir brachen auf in die Niederlande. Meine Freundin Kira machte Urlaub in Holland an der See, und wir wollten sie besuchen. Wir trampten zu viert los, Christel und Marco waren auch dabei. Als wir bei der Adresse ankamen, war niemand da, und wir fuhren erst einmal an den Strand. Dort bekam ich den schlimmsten Sonnenstich meines Lebens. Später fuhren wir wieder zu der Ferienwohnung von Kira und ihrer Freundin und trafen sie endlich an. Anscheinend war die Einladung zum Besuch nicht ganz ernst gewesen. Kira war nicht besonders erfreut über unser Auftauchen am Ferienort. Übernachten durften wir dann aber doch, und ich konnte meinen Sonnenstich, mit Fieber und Übelkeit, auskurieren.
Am nächsten Tag ging es weiter nach Amsterdam. Um bessere Chancen beim Trampen zu haben, trennten wir uns von den Jungs. In Amsterdam angekommen, schliefen wir die erste Nacht im Freien, auf einer kleinen Bootsanlagestelle bei einer Gracht. Ich hatte die ganze Nacht die Angst, ins Wasser zu rollen und konnte nicht einschlafen. Regelmäßig kamen Dealer vorbei und riefen laut wie Marktschreier: »Haschisch! LSD!« Die nächste Nacht verbrachten wir in der Wohnung eines netten Typen, den wir wegen eines Schlafplatzes gefragt hatten. Isabell verknallte sich gleich, und ich schlief dann in einem viel zu kleinem Kinderbett in einem Kinderzimmer. Dann ging es wieder nach Hannover zurück. Isabell wollte danach am liebsten sofort nach Amsterdam ziehen, während ich doch Berlin bevorzugte.
Später im Sommer machte ich mich nochmal mit Kirsten auf den Weg nach Berlin. Sie war ja mal kurz abgetaucht, nachdem sie bei unserem »Kaffeeklatsch« im UJZ Ulli kennengelernt hatte. Der spielte jetzt bei den »Boskops«, die mit anderen Hannoveraner Bands im SO36 auftreten wollten. Am nächsten Tag fand noch ein Auftritt bei einer Anti-Knast-Demo auf einem LKW-Anhänger statt. Wir beide konnten auch mitfahren. Währenddessen kam plötzlich Panik auf, da die Demo mit Tränengas auseinandergetrieben wurde und wir ganz schnell den Anhänger verlassen mußten. Das sollte nicht meine einzige unangenehme Begegnung mit der ausführenden Staatsgewalt bleiben.
Wir reisten auch durchs ganze Land, um Konzerte zu besuchen. Meist war ich jetzt mit Isabell unterwegs. Oft fuhren wir per Anhalter. Manchmal kutschierte uns Kira. Sie war die einzige mit Führerschein und Auto. Sie bestimmte dann aber auch, wann es zurück ging. Da sie keinen Alkohol trank, wenn sie Auto fuhr, hatte sie auch weniger Spaß als wir und wollte immer recht früh die Rückfahrt antreten. Davon waren wir anderen gar nicht begeistert. Bevorzugte Ziele waren Düsseldorf, Bielefeld, Herford, Hamburg und ganz besonders oft Bremen. Wir waren öfter bei ZK-Auftritten dabei oder wenn Out of Order spielten. Einmal übernachteten wir zusammen mit Campino und den anderen in einem besetzten Haus und frühstückten am Morgen zusammen.
In den verschiedenen Städten erlebte ich die Punks sehr unterschiedlich. In Düsseldorf sah jeder Zweite aus wie Sid Vicious und trug Lederjacke und Bondagehosen. In Hamburg waren viele härter drauf, eher rockermäßig mit Prügeln und Ketten chwingen. Die Berliner dagegen fand ich alternativer und politischer.
Isabell hatte Freundinnen in Bremen, die ich nun auch kennenlernte: Anni, Vera und Ariane, die teilweise älter waren als ich. Wir fuhren sehr oft zu ihnen, und sie besuchten uns ihrerseits in Hannover. Anni und Vera lebten zusammen in einer Wohnung. Diese war toll mit 50er-Jahre-Möbeln eingerichtet. Wir hatten wirklich sehr viel Spaß mit den Bremern. Ich freundete mich dort auch noch mit Silke und Lurchi an. Später sollte diese Freundschaft ein schmerzliches Ende nehmen.