Das weltweit größte Archiv historischer Punkfotos – Hier registrieren!
facebook
twitter
youtube
Punksplitter
Auftritt von ROSA beim NoFun-Festival im UJZ Glocksee, Hannover im März 1980. Auf Knien Alice Dee. Ganz links oben am Bildrand: Rosa (icke) mit Bass, mein Fuß im Puma-Turnschuh (Foto: Heinrich Dubel)

1980: Weggestiefelt

Rosa – Erinnerungen an den jungen Punk (4)

von

Es ist nicht immer fun and games, unübersehbar und in provokatorischer Absicht den Außenseiter zu geben, und Toleranz war keine besonders ausgeprägte Eigenschaft eines letztlich gnadenlosen kleinbürgerlichen Milieus, als das ich das ganze Hannover eigentlich noch immer sehe. An einem schönen Samstagabend – ich war soeben mit dem Zug von einer Gartenparty im Umland zurückgekommen, hatte mich am Hauptbahnhof »unterm Schwanz« (16) mit Alice Dee getroffen, dem Sänger meiner Band ROSA, wir schlenderten über die Georgstraße hin zum Steintorimbiss, um uns für die anstehende Punknacht zu stärken – kam es zur ultimativen Konfrontation mit diesem Milieu, zu dem ich nicht mehr gehörte.

Drei bereits gut angesoffene Buffer, wie ich sie aus meiner Zeit an der Straßenecke kannte, folgten uns. Nachdem sie sich einige Minuten warmgepöbelt und uns Bierflaschen nachgeworfen hatten, ging es auch schon los – footchase. Ich schaffte es noch bis zur Mitte der Nordmannpassage, wo ich nach kurzer Gegenwehr umstandslos und ultrabrutal eingestiefelt wurde. Das Letzte, an das ich mich erinnere, bevor ich mit schweren Schädel- und inneren Verletzungen wieder zu mir kam, waren messingbeschlagene Stiefeletten, die mir ins Gesicht traten. (17)

Als ich nach Monaten aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte sich Einiges getan, interessanterweise auf dem Gebiet der Inneneinrichtung. Bärbel, der Schlagzeuger von Blitzkrieg, hatte es irgendwie geschafft, sich in eine Wohnung einzumieten. Als Raumschmuck nähte er – mit der Hand – eine Hakenkreuzfahne, so groß wie die größte Wand in der Wohnung. Den Stoff hatte er bei Karstadt geklaut. Das Hakenkreuz hatte keinen einzigen rechten Winkel, nicht mal der weiße Kreis war regelmäßig rund. Auf diese monströse Fahne heftete er Fahndungsplakate mit den RAF-Aktivisten drauf, die er aus Polizeistationen holte. Wenn sie ihm keines geben wollten, stahl er das, was im Flur hing. Das Ziel, das Zimmer bis unter die Decke mit leeren Bierdosen zu füllen, wurde nicht erreicht. Nach einem Wochenende, das er alleine und auf LSD dort verbrachte, wurde die Wohnung durch den Vermieter zügig geräumt.

Das Hakenkreuz war ein Thema in der Szene. Was für die englischen Punks zutreffen mochte, dass sie nämlich letztlich nur eine sehr verschwommene Ahnung hatten, um was für ein Zeichen es sich handelte (18), traf sicher nicht auf die deutschen Punks zu, besonders nicht auf die politisch bewussteren. Wer damit hantierte, wusste im Allgemeinen, was er tat, wenn auch nicht immer warum oder wozu.

Bei einer Silvesterparty im Bremer Schlachthof, zu der ein Haufen Punks aus ganz Norddeutschland und auch einige Berliner gefahren waren, trat eine Band aus Hamburg auf, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Es war eine allgemeine Idioten-Crew. Der Sänger machte auf Sid Vicious, samt schwarzer Lederjacke, Hakenkreuz-T-Shirt und Halskette mit Vorhängeschloss. Den Berlinern in ihrem geschärften links-anarchistischen Bewusstsein war das aus politischen Gründen unerträglich, unserem hannoverschen Kontingent aus modischen Gründen. Konnte es ein lächerlicheres Posertum geben, als sich eins-zu-eins wie Sid Vicious anzuziehen? Der absurdeste Freak des Abends war ein afrodeutscher Hamburger, der – wie sich später herausstellte – ganz gerne ein Nazi gewesen wäre und der – weil er bei Kühnen selbstverständlich nicht mitmachen durfte – eine eigene Schlägertruppe namens Savage Army (SA) gegründet hatte. Es kam zum Streit und im Anschluss an das Konzert der Band, das sich diese, unterstützt von ihren zahlreich angereisten und extrem aggressiven Fans, vom Veranstalter erpresst hatte, zu etlichen Schlägereien. »Alder, das is' Punk, da verstehste nix von!« wurde ein geflügeltes Wort für uns.

In dieser Nacht machte ich eine Beobachtung, die mein späteres Leben nachhaltiger beeinflussen sollte als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Ich sah einem Typen dabei zu, wie er sich – betrunken hin- und herschwankend – mühsam mit einer Hand an einer Laterne festhielt und auf seine Schuhe kotzte. Blitzartig erkannte ich: es kam auf die Haltung an, und weniger auf die Klamotten. Und: niemals auf die eigenen Schuhe kotzen.

Zwei Wochen später war ich in Berlin.

Für diesen Beitrag wurden 0 Kommentare geschrieben (nur eingeloggte Nutzer!)
ARCHIV
35933 Bilder und Downloads online von 1977-2007, davon 27 neu · 10733 Kommentare, davon 5 neu · 906 Mitstreiter, 1 auf Warteliste
INFO
PUNKFOTO braucht Paten - eine Seilschaft aus skrupellosen Mäzenen, die mit PUNKFOTO verbundene Arbeit und Kosten Monat für Monat finanziert! Als Retourkutsche gibt's natürlich üppige ... (weiter)
Ich scanne Deine alten Fotos, Flyer, Plakate. Digitalisiere VHS-Videos. Büromaterial und Briefmarken werden auch ständig gebraucht. Hast Du noch welche, die eh nur wie Blei bei Dir rumliegen? (weiter)
MAGAZIN
Dienstag, 22. Oktober 2024
Wie ein Indianer saß der junge Punk da. Oder so wie man sich im kalten Deutschland der 1980er Jahre einen ... (weiter)
Samstag, 03. August 2024
Christian verzog das Gesicht, als er die Zweiliterbombe Rotwein absetzte und schaute reichlich ... (weiter)
Samstag, 02. Dezember 2023
In einer Woche, am 9. Dezember, werde ich 63 Jahre. Andere reichen da die Rente ein und schieben ne ruhige Kugel - ... (weiter)
Montag, 25. September 2023
»Immer nur in die Funz ist langweilig!« Schnell aus dem Haus, den Bus in die Stadt noch kriegen! Paul lief, was ... (weiter)
Montag, 28. August 2023
»Über 1400 lederbekleidete Punker kommen am Samstag nach Köln, um Popperdiscos zu stürmen« »Popperlokale ... (weiter)
Donnerstag, 03. August 2023
Vor vor ein paar Tagen sind nun endlich die Shirts für PUNKFOTO-Amigos eingetroffen. Spätestens übers Wochenende ... (weiter)
Sonntag, 25. Juni 2023
vor knapp drei Monaten hat bei mir heftig der Blitz eingeschlagen - glücklicherweise nicht in meiner Wohnung ... (weiter)
Freitag, 24. März 2023
»Wo ist er? Wo ist das Schwein?«, rief Zombie durch die im Dämmerlicht der Strassenlaternen nur schwach ... (weiter)
Freitag, 17. März 2023
Aktuell ist ein Shirt für PUNKFOTO-Amigos in Vorbereitung - also für diejenigen, die mit ihrer Kohle PUNKFOTO ... (weiter)
Freitag, 17. März 2023
An neuen Bildern kam ja in den vergangenen Monaten eher wenig rein - aber immerhin hat Robert Neumann mal wieder ... (weiter)
© PUNKFOTO erstellt von Karl Nagel
ACHTUNG!
Ihr Computer ist eingeschaltet!
Sie sind im INTERNET !
Sie sind auf der Website von PUNKFOTO!
Hier werden SESSIONS und COOKIES verwendet!
Die Inhalte dieser Website könnten Sie VERUNSICHERN!
MINDERJÄHRIGE könnten in ihrer Entwicklung gestört werden!

MACHT IHNEN DAS ANGST?

WOLLEN SIE DAS WIRKLICH?

DENKEN SIE GRÜNDLICH
DARÜBER NACH!