1980: Vom Kaffeeklatsch ins Kneipenkollektiv
Gelas Erinnerungen (6)
In Hannover bekamen wir auch regelmäßig Besuch von anderen Punks. Aus Herford z.B. von den »Vopos«, und einmal lernte ich vier Berliner in der »Roten Kuh« kennen, die dann gleich zwei Wochen bei uns blieben.
Einer von ihnen fuhr nachts zusammen mit Christel per Auto los, um Schnaps zu kaufen, und auf dem Rückweg krachten sie von der Hochstraße. Wir merkten erst, daß sie nicht da waren, als morgens die Polizei bei uns klingelte und uns mitteilte, was geschehen war. Der Schreck war groß. Sofort machten wir uns auf den Weg ins Krankenhaus. Vorher sahen wir uns den Wagen an. Ein wahrer Schrotthaufen. Jetzt hatten wir noch mehr Angst, aber die Jungs hatten wohl Glück im Unglück. Die Verletzungen waren weniger schlimm, als die Schrottkarre vermuten ließ.
In der Zeitung stand tags darauf, daß ein junger Berliner mit seiner Hannoveraner Freundin auf der Hochstraße einen Unfall erlitten hatte. Da hatten wir trotz allem etwas zu lachen.
Im Herbst 1980 hatten die Nachbarn es endlich geschafft, daß uns die Wohnung gekündigt wurde. Eine Sprosse des Treppengeländers war angeblich von uns herausgetreten worden. Und dann noch der Tampon an der Decke im Treppenhaus. Das war zu viel, wir mußten raus.
Wo sollte ich nun hin? Lena und Christel fanden schnell eine Wohnung, und Spanner und Lilo waren eh schon ausgezogen. Mein ehemaliger Freund Bernd hatte noch ein Zimmer frei, und ich zog dort ein. Es war ein kleines Zimmer ohne Heizung und mit Pappwänden. In der Wohnung lebte außer Bernd noch Susanne.
In der Roten Kuh hatte ich unterdessen Isabell und Kirsten kennengelernt. Wir beschlossen zusammen mit Susanne und Natascha, der Freundin von Bernd, eine Punkband zu gründen. Ich sollte singen. Daraufhin textete ich mehrere Lieder, z. B. dieses:
Meine Gedanken, die sind dreckig
Und ganz dreckig meine Hand
In meinem Mund den Dreck, den schmeck ich
Spuck ihn einfach an die Wand
Und auch dreckig ist mein Lachen
Mein Gefühl ist Dreck dazu
Dreckig sind auch meine Sachen
Doch der letzte Dreck bist du!
Denn da stehst du in der Ecke
Und noch lächelst du mir zu
Denn du weißt nicht was ich denke
Weil, du siehst nur was ich tu
Siehst den Dreck nicht im Gedanken
Liest ihn mir nicht aus der Hand
Kannst nichts sehen durch die Schranken
Nur die Spucke an der Wand!
Wir nannten uns »Neutren«, nachdem wir »Boykotz« verworfen hatten. Wir übten einige Male, durften aber nach kurzer Zeit den Übungsraum nicht mehr benutzen, der sich in einer Schule befand, weil Natascha in der Toilette mit Filzstift rumgeschmiert hatte.
Ein kurzer Auftritt von mir fand in der Glocksee statt, weil ich in einer Pause während eines Konzertes die Bühne erklomm und betrunken »Ich bring mich um«, sang. Jemand dachte wohl, ich meinte es ernst und holte mich von der Bühne. Ich hatte mich aber nur an den Text vom KFC gehalten.
So endete meine Gesangskarriere. Später gründeten Lena und ich noch »Moskauspione, Prawda rules ok«. Es blieb aber nur bei dem Namen. Wahrscheinlich gut so.
Um auch einen Treffpunkt außerhalb einer Disco zu haben, wo wir uns auch unterhalten konnten, trafen wir Frauen uns regelmäßig im UJZ, einem unabhängigem Jugendzentrum. Es wurde zum Großteil von älteren Autonomen mit langen Haaren und Bärten geführt. Sie standen Punks mißtrauisch gegenüber, verdächtigten sie uns doch, mit Nazis zu sympathisieren. Schließlich trug Sid ein Hakenkreuz auf seinem Shirt.
Gegen unsere Treffen hatte aber niemand etwas, es wurde als Kaffeeklatsch belächelt. Die jüngeren aus dem UJZ schenkten uns auch gern ihre Aufmerksamkeit und einer schnappte sich auch gleich Kirsten, die man von nun an nur noch selten sah.
Wir verbreiteten in der »Roten Kuh«, daß man sich doch auch im UJZ treffen könnte. Dort fanden schon Konzerte statt, darum kannten es viele. Es dauerte nicht lange und wir waren nicht mehr die einzigen Punks dort.
Nachdem eine geplante Hausbesetzung in Ermangelung des richtigen Objekts nicht stattfand - ich wär auch dabei gewesen - beschloß eine Gruppe von Punks und jüngeren Autonomen, die UJZ- Kneipe zu übernehmen. So fand ich mich dann im Kneipenkollektiv wieder. Das war die Gelegenheit, weniger zu trinken, da mir der Tresen als Sicherheitsbarriere gegen meine soziale Phobie ausreichte und die Arbeit einen klaren Kopf verlangte. Außerdem gab es dann noch eine Veranstaltungsgruppe.
Meine neue Freundschaft mit Isabell vertiefte sich noch weiter. Wir fuhren zusammen nach Amsterdam und Berlin, verbrachten unsere Freizeit zusammen mit Fotografieren, Konzerte besuchen, Leute treffen und immer mal wieder »Rote Kuh«.
Es gab nun sehr oft Punk Konzerte im UJZ . Aus der Schweiz, Holland und der USA kamen die Bands und die Anzahl der Punks stieg stetig. Schon 1979 hieß es »Punk ist tot«, aber man hatte den Eindruck es ging 1981 erst richtig los. Ich sah immer mehr unbekannte Gesichter, viele sehr junge und jeder trug eine Lederjacke. Auch wurden die Haare immer bunter und höher. Es war für mich vielleicht nicht mehr so neu und aufregend wie am Anfang, es gab aber noch viel zu erleben.