1978: Auf zu anderen Ufern
Gelas Erinnerungen (2)
Mein neuer Freund, ich nenn’ ihn mal Pepe, hatte einen Bekannten, der eine Kneipe eröffnen wollte, und Pepe sollte dort in der Küche arbeiten. Die Kneipe nannte er »Anderes Ufer« und es wurde eine PUNK-Kneipe. Am Tag der Eröffnung rief mich Pepe an und fragte mich, ob ich meinen Staubsauger mitbringen könnte. Ok, ich schleppte also dieses Gerät mit. Als ich bei der Kneipe ankam, saßen schon eine Menge Leute davor, und nachdem ich den Staubsauger übergeben hatte, setzte ich mich dazu.
Neben mir saß ein Typ in einem alten Ledermantel mit merkwürdiger Frisur: Seitlich hatte er keine Haare und dafür waren sie hinten lang und fielen vorn als V in die Stirn. Auf seinem Schoß turnte ein Mädchen in engen Hosen und spitzen Schuhen mit starr nach oben abstehendem Pony. Sie musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. Daneben saß ein großer Typ in Lederjacke und alten Stiefeln mit einer ähnlichen Frisur wie der andere, nur daß seine Haare hinten viel länger waren und am Kopf abstanden. Er las laut aus einem Buch von Charles Bukowski vor. Eine kleine Frau mit einem Kindergesicht und einer Bierflasche in der Hand fragte mich nach Tabak. Es standen noch einige andere Typen in schwarzen Lederjacken oder alten Jackets herum, einer trug eine rote Motorradlederjacke und eine kaputte Jeans, dazu Turnschuhe. Alle tranken Bier.
Ich fühlte mich etwas seltsam in meiner rosa eingefärbten Latzhose, den Samtballerinas und meinen hennaroten Haaren; dazu die Nickelbrille auf der Nase. Noch war mir nicht klar, daß ich so ziemlich dem momentanen Feindbild der Punks entsprach: Hippie!
Ich selbst hätte mich nicht so bezeichnet. Hippies gab es meiner Meinung nach nicht mehr, und ich war schon gar keiner. Als ich so vierzehn war, da wollte ich gern ein Hippie sein, aber selbst da war es schon zu spät dafür und alle Musiker wie Janis Joplin und Jim Morrison tot. Ich verliebte mich ein Jahr später in einen älteren Jungen, der bald darauf in eine linke Partei eintrat und dem ich es dann gleich tat. Von nun an hörten wir neben Pink Floyd und Kraftwerk auch noch Ton, Steine, Scherben und politische Liedermacher. Nach vier Jahren hatte ich die Nase voll von ihm und ebenso von dem Dasein in dieser Partei. Ein Jahr später zog ich nach Hannover.
Nun saß ich also zwischen lauter Punks und wartete darauf, daß die Kneipe endlich öffnete. Drinnen sah es noch ganz normal aus. Es gab einen Tresen, Tische, Stühle und einen Billardtisch. Man konnte auch essen, darum war mein Freund Pepe andauernd in der Küche. Der Besitzer verteilte dicke Filzstifte, damit Tische und Wände damit beschrieben werden konnten. Was dann auch jeder mit Begeisterung tat.
Ich kam nun sehr oft ins Punkrock-Cafe, setzte mich an einen Tisch, bestellte ein Bier, rauchte und wartete auf meinen Freund. Lange saß ich nicht allein am Tisch. Die männlichen Punks, teilweise viel jünger als ich, setzten sich dazu und schnorrten Tabak und tranken mein Bier leer, wenn ich auf der Toilette war. Die Mädchen hielten Distanz, bis auf einige ganz junge, die von den anderen auch nicht akzeptiert wurden. Einige meinten, mir beibringen zu müssen, was Punk sei. Dabei erklärte mir die blonde Sabine, genannt Hexe, daß Punks sich selbst nicht als Punks bezeichneten, gern soffen, aber Hippie-Drogen wie Haschisch ablehnten, da man damit die Welt zu rosig sähe. Später lernte ich aus eigener Erfahrung, welche Mittel Punks noch bevorzugten und daß Hippie-Drogen auch wieder akzeptabel wurden.
Nachdem die Beziehung zu Pepe vorüber war, (er hatte, während ich brav wartete, in der Küche alle Mädels flach gelegt, die in Reichweite waren, und noch darüber hinaus) kam ich weiterhin ins »Andere Ufer«. Ich fühlte mich dort wohl, mochte die Atmosphäre, die Musik und die Leute.
Bald fühlte ich mich zugehörig. Es war eine überschaubare Szene mit sehr unterschiedlichen Leuten. Viele waren jünger, manche waren älter als ich. Zu den Älteren gehörte Face, er spielte Bass bei Donnerschlag und Alice, mit dem ich mich anfreundete (beide sind schon gestorben). Einer der Jungen war Votze (auch er lebt nicht mehr).